Das Jüdische Museum beteiligt sich, neben Anderen, zum Berliner Jahresprojekt "Zerstörte Vielfalt" mit einem web-Projekt worauf wöchentlich einige neue Dokumente veröffentlicht , offizielle und private Briefe, Postkarten, Urkunden, Ausweise, Anträge, Protokolle, Tagebucheinträge, Notizen und Fotografien. Diese zeigen den sich verändernden Alltag auf und so wird uns ein Bild der Lebensrealität 1933 vor Augen geführt. Im Laufe des Jahres 1933 griffen mehr als 300 Erlasse, Verordnungen und Gesetze in das Leben aller deutschen Juden ein.


28. Mai - 1. Juni 2013

Vorbesichtigungswoche der Biennale Venedig, die kuratierte Ausstellung im Arsenale steht diesmal unter der Regie von Massimiliano Gioni, spannend was er unter dem Titel "Enzyklopädischer Palast" zusammenstellen wird, ob er auch, wie so oft geschehen, nur den Markt bedient oder ein interessantes Konzept verfolgt... Diese Ausstellung soll sich mit dem Wissen der Welt, Entdeckungen und Entwicklungen in Wissenschaft und Technik beschäftigen, zeitgenössische Kunst mit älteren Artefakten und Fundstücken vereinen um eine "Anthropologie der Bilder" (nach Hans Belting) zu generieren. Es geht auch um Fragen der inneren und äusseren Bilder, deren Rivalität und dem Raum sich zu entwickeln. Eine Idee die auf Marino Auritis nie verwirklichtes "Universelles Museum" des allumfassenden Wissens der Welt, in den 50er Jahren als Architekturmodell gebaut zurückgreift.
Im Giardini und über die gesamte Stadt verteilt, die Länderpavillons in deren Eigenregie bespielt, gleichzeitig eine Entdeckungstour durch die Stadt.
Schon jetzt sind Albernheiten wie der Gebäude-Tausch zwischen Frankreich und Deutschland bekannt gegeben, wobei D. wieder mal grosskotzig und gutmenschlich den "guten Onkel" der Welt gibt...
Vernissage am 1. Juni, dann bis 10.November geöffnet.

Nun sind sie also verteilt, die Löwen. Zum besten Künstler wurde Tino Seghal gekürt, mit einer Performance in Gionis "Encyclopedia" vertreten. In Silber (Nachwuchs) an Camille Henrot. Maria Lassnig und Marisa Merz bekamen Goldene Löwen für ihr Lebenswerk.


Die Löwen an: Tino Seghal - Bester Künstler / Edson Chagas, Angola - Bester Pavillon / Camille Henrot - Beste Nachwuchskünstlerin

Bester Länderpavillon überraschenderweise für Angola mit Edson Chagas, der seine Fotografien von Hinterlassenschaften auf den Strassen Luandas, kleinen oft zufälligen anonymen Interventionen, Inszenierungen von "ausgesetzten" Dingen, Verwitterungen, Spuren und Graffiti, Kaputtem, Trash, poetischen Szenen als grosse, langsam verschwindende Abreissblöcke auf Paletten in den museal eingerichteten Räume des Palazzo Cini plaziert, unter den Augen florentinischer Renaissanceportraits sozusagen. Pure Ärmlichkeit trifft auf Hochkultur. Eine Enzyklopädie der verbrauchten konsumierten Dinge unserer Zivilisation, Bestandsaufnahme des aktuellen Zustandes und Umgangs mit der Umwelt. Das Publikum spielt freudig mit und sammelt sich seinen Riesenformat-Katalog zusammen - und übersieht zu oft was an den Wänden hängt, die Pracht der Räume.
Ich bin äusserst angetan dass mit Arbeiten wie auch ich sie in Berlin mache ("Berlin Absurdistan") ein Goldener Löwe gewonnen werden kann! Nur in Berlin erkennt man den Gehalt nicht.


© Edson Chagas / Pavilion Angola / Foto: Paolo Utimpergher

Überhaupt haben einige Länderpavillons sehr starke Auftritte mit phantastischen Arbeiten, während andere Albernes präsentieren.
Einer der überzeugendsten ist Rumänien mit der "Immateriellen Retrospektive der Biennale von Venedig", dargestellt von einer Gruppe um die Performancekünstler Alexandra Pirici und Manuel Pelmus sind verschiedene Kunstwerke aus der Biennalegeschichte nachempfunden. Mal Skulpturen, aber auch Malerei, Bilder bis hin zu Aktionen und Situationen wie Santiago Serras zugemauertem Spanischen Pavillon 2003 oder Tino Seghals Performance "This is so contemporary". Auch eine Herausforderung an unser Gedächtnis, ein intelligentes und sinnliches Kunstquiz das enorm viel Spass macht!

Stefanos Tsivopoulos bespielt den Griechischen Pavillon mit einem dreiteiligen Filmprojekt, drei Geschichten zu drei sehr unterschiedlichen Protagonisten - der Migrant, ein Künstler, die Sammlerin - die aber eine überraschende zusammenhängende Ökonomie ergeben. Der Migrant als Schrottsammler, nächtens Athens Mülltonnen durchstöbernd, der Künstler als Flaneur und Finder und Aneigner, die anscheinend unbesorgte, demente, kunstliebende Sammlerin. Passend zur sogenannten EU-Krise, eigentlich eine Spekulantenkrise, wird ein Werte-Kreislauf inszeniert - ich möchte nicht zu viel verraten um die Spannung und Überraschung zu erhalten... Ebenso passend und interessant im Eingangsrondell eine Dokumentation zu Banken, Geldsystemen und Ersatzwährungsmodellen und Utopien. Stark und unbedingt sehenswert!

Bemerkenswert auch die Installation von Vadim Zakharov im Russischen Pavillon zum Mythos der Danae, wesentlich vielschichtiger als von manchen nur als Wunschmaschine oder endlosem Geldfluss interpretiert. Ich fand beispielsweise die Tatsache dass Besucher die Betbank-Brüstung tatsächlich kniend nutzten um dem Geklimper beizuwohnen erstaunlich, ein freiwilliges automatisches Niederknien vor dem Kommerz, sicher eher unbewusst - so wie im alltäglichen Leben - ist doch unglaublich, aber ein deutliches Abbild unserer Zeit. Ebenso die in der "Felsengrotte" freiwillig geleistete Frauenarbeit - Arbeitssklaven weltweit... das System muss ja weiterlaufen, auch in Krisenzeiten. Hier spielt so viel aus alltäglichen Ökonomiesystemen mit hinein, eine schier endlose Kette von Assoziationen. Es gibt auch einen Klostuhl mit weisser Rose und auf einem hohen Träger sitzt ein "Herrenreiter".... Kuratiert von Udo Kittelmann, einem alten Freund Zakharovs, der dessen Werk inwendig kennt, kommissioniert von einer der reichsten Frauen Russlands, Stella Kesaeva (Abramovich) und ihrer Stiftung.
Überhaupt gibt es eine enorm starke vielfältige Präsenz von Ausstellungen mit russischen Künstlern, nur noch von Chinesen übertroffen. Dazu an anderer Stelle mehr.

Unverständlicherweise kein eigener offizieller Länderpavillon, aber enorm stark die sehr politisch aufgeladenen Arbeiten der beiden palästinensischen Künstler Bashir Makhoul und Aissa Deebi. Erstererokkupiert den Garten des Palazzo Giustinian Recanati und verwandelt ihn in ein wild weiter anwachsendes Geschachtel und Getürme von Häusermodellen aus Pappkartons, mit Besucherbeteiligung. Es sieht aus wie die wuchernden fragilen Häuserkonglomerate in Flüchtlingslagern oder im Gazastreifen, Bilder die man aus TV-Berichten kennt. Aissa Deebi reinszeniert in seinem Video einen israelischen Prozess gegen den Schriftsteller und kommunistischen, nationalen Aktivisten Daud Turki (u. a. "Recht auf Widerstand"), 1973 zu 17 Jahren Gefängnis verurteilt. Permanent in den Erklärungen gestört und unterbrochen wird der Prozess zur Farce, ebenso im Video dargestellt, wir werden zusehends nervös und ungehalten ob des absurden Vorgangs eines Scheinprozesses. Welche Kraft in dieser Arbeit, dass sie derart berührt!

(Friedens-)Politisch ist auch die Videoinstallation mit vielen Monitoren von Zsoltan Asztalos im Ungarischen Pavillon. "Fired but unexploded" zeigt eine internationale Sammlung von Bomben, Granaten des 2.Weltkriegs, die in heutigen Baugruben gefunden werden. Sie stellen Fragen nach Bestimmung, Funktion und Schicksal, der Dinge ebenso wie unseres Lebens.

Ebenso interessant das Video, dokumentarisch und fiktional gleichermassen, von Akram Zaatari im Libanesischen Pavillon. Er zeigt, aufbauend von privaten Fotoalben und Dokumenten Bilder der israelischen Bombardierung der libanesisch-palästinensischen Lager-Stadt Saida 1982 und verbindet die Realität mit der vielfach neu erzählten Geschichte oder Legende vom humanistischen israelischen Piloten der sich dem Befehl eine Schule zu bombardieren widersetzte und seine Bomben über dem Meer abwarf. Er selbst hörte diese Legende in unzähligen Variationen. Was ist Realität - was Fiktion, und was bewirken beide Möglichkeiten. Sehr stark!

Venezuela geht einen eigenen Weg mit einer Auswahl an politischen Graffitis und Street Art. Sehr aktuell, auch mutig angesichts der Missachtung und Verfolgung die Street Art Kunst mancherorts immer noch erfährt. Es gibt Plakate, Murals, eine Videodokumentation von Werken in den Strassen, und eine animierte Videoarbeit zu Street Art.

Auch Jeremy Deller im Britischen Pavillon macht eine gute Figur mit seinem sozio-historisierendem Ansatz, auch wenn die Arbeiten in den einzelnen Sälen arg divergieren, von Faustkeilen aus Museen, neben dem Abbild eines Hühnerhabichts der sich an einem Range Rover vergreift (eines der letzten Exemplare soll von Prinz Henry geschossen worden sein), über einer Fotosammlung zu Bowies "Ziggy"-Tour und zu Unruhen, bis zu Zeichnungen zum Irakkrieg zum Teil von ehemaligen, inzwischen inhaftierten Soldaten ausgeführt. Der Figur des viktorianischen Designer und Sozialisten William Morris, der Abramovichs Riesenjacht in der Lagune Venedigs versenkt. Fahnen mit abstrahierten Finanzwegediagrammen von Protesten gegen das Steuerparadies Jersey, die ausser Kontrolle gerieten. So verquicken sich Bilder mit Geschichten aus dem Land zum "English Magic", so der Titel der Schau.

Ebenso magisch surreal sind die Arbeiten von Shary Boyle im abgedunkelten Pavillon Canadas. Nackte Porzellanfiguren tragen, balancieren Planeten oder Monde, platziert auf sich langsam drehenden Plattenspielern, zurückgreifend auf den altgriechischen "Atlas" Farneses. Dazu ein je nach Beleuchtung zweigeteiltes höhlenartige Diaramaszene, eine weisse im Liegen säugende alte faltige Frau, das in eine opulente Collage aus Portraits, Figuren, zum Teil aus Filmen, einer Ansammlung von Augen, Planeten, Schlangen und anderem Getier vor Höhlenmalerei wechselt.

Surreal psychedelische Traum-Welten aus Gestricktem, Genähtem, Lichterketten, mit Perlen und Ähnlichem, eine richtige Höhle, baute auch die Portugiesin Joana Vasconcelos in den Bauch eines Schiffes vor dem Giardini. Das Oberdeck mit Kork verkleidet als Lounge und in den Eröffnungstagen Konzertbühne, Diskussionsraum und Partylocation. Die Aussenwände in typisch portugiesischem Azulejostil mit einer Stadtansicht Lissabons vor dem Erdbeben 1755 gekachelt. Ausserdem kann man an einer kleinen Rundfahrt durch die Lagune teilnehmen, sozusagen ein schwimmender Pavillon. Nett.


Joana Vasconcelos - Portugals Schiff © Foto: J. L.

Sarah Sze bespielt den USA-Pavillon im wahrsten Sinne des Wortes mit einer kolossalen feingliedrigen und ausufernden, den Pavillon sprengenden Installation, eigentlich mehrere Assemblagen aus Alltag, Haushalt und Natur mit sehr starkem Workshop bzw. Atelier- und work-in-progress-Charakter. Sie baut sich Pippi Langstrumpf-mässig ihre eigenen Welten und Kosmen zusammen, besetzt und überwuchert das Haus ebenso wie das Dach und die Umgebung.


Sarah Sze - USA

Sehr stark und spannend die skulpturalen Arbeiten von Mark Manders im Niederländischen Pavillon. Auch hier denkt man an eine Atelier- und Arbeitssituation, unbenutzte Materialien liegen wie in einem kleinen Lager in einem Teil des Pavillons. Seine in Holzbretter eingezwängten oder zerteilten Köpfe aus Ton und zum Teil mit Haaren, sehr realistisch, auf Arbeitssockeln, als wären diese noch im Arbeitsstatus. Auch er richtet sich seine Welt, seinen eigenen Kosmos ein. Man bemerkt es nicht, aber verwirrend wenn man weiss, dass nichts so ist wie es erscheint - was wie Ton aussieht ist bemalte Bronze, das 'Holz' ist real aus Epoxidharzen, ebenfalls bemalt und strukturiert usw.

Nach Workshop sieht es auch im Japanischen und auch Israelischen Pavillon aus - ich habe den pseudosoziologischen Ansatz aber nicht verstanden...

Alfredo Jaar versenkt den realistischen Modellbau der Giardini in grünen Fluten. Der Untergang der Nationalidee? Oder Verweis auf die drohende Umweltkatastrophe durch den Treibhauseffekt, die als Küstenstadt auch Venedig treffen wird? Für erstere Interpretation spricht das Grossfoto, das Fontana nach dem 2. Weltkrieg in den Ruinen seines Ateliers zeigt.


Alfredo Jaar - Chile

Zum ersten Mal in Venedig dabei, die Malediven mit einer internationalen Künstlerschar zum naheliegenden Thema Klimawandel und zu ökologischen Aspekten in verschiedenen Regionen der Welt. Viele Videoarbeiten, vom driftenden Riesen-Eisberg, über Dammbau in Bangla Desh und dem Wiederaufbau nach der Tsunamikatastrophe, Interviews, Wüstenbilder, Fische und Wasser und der Dokumentation von Protesten.

Einen ökologischen Unterton hat auch die Ausstellung von Bill Culbert im Pavillon von Neuseeland. Neben Licht, in Form von Neonröhren spielen Möbel, Möbelrecycling eine Rolle. Beide Elemente durchdringen und ergänzen sich und wird manchmal kombiniert mit buntem Plastikflaschenmüll. Die Installationen gehen über das Konzeptionelle hinaus, ebenso über die pure Schönheit der Objekte und Arrangements.


Bill Culbert - Pavillon von Neuseeland

Und was war nun mit dem deutschen Beitrag - vor allem viel heisse Luft, viel grosses BlaBla, ein unstimmiges Theoriegebäude, absolute Beliebigkeit trotz äusserst starker interessanter Künstler und deren Positionen, ein geniales Versagen. Worthülsen über Internationalität im (eher) rassistischen Land, die eine beliebig austauschbare Künstlerauswahl belegen soll (ach ja sie hat ja den tollen deutschen Verleger... hat auch in D. ausgestellt... ist in aller Munde... hat einen deutschen /neben anderen/ Galeristen... bekam aus Solidarität eine Professur angeboten/die er nicht antreten kann und so weiter). Arbeiten die nicht mal was mit D. zu tun haben... aber alle Themen sollen ja global sein... blablabla. Und über die Relevanz bzw. nicht mehr gegebene Relevanz des Nationalen wurde in den 90er-Jahren diskutiert, Zwanzig Jahre später kommt dies sehr antiquiert daher. Hab selten sooo viel Müll auf einmal gehört! Einzig Romuald Karmaker beackert das richtige Feld mit seinen scharf formulierten manchmal kommentarlosen, für sich selbst alles sagenden Filmbildern zur inner-deutschen Situation in der nach wie vor faschistoiden Gesellschaft! Insgesamt wurden vier internationale Künstler zusammengestellt - Ai Weiwei, Romuald Karmakar, französisch-deutscher Filmemacher, Santu Mofokeng, Dayanita Singh, dokumentarische Fotografen aus Südafrika bzw. Indien - mit Sicherheit alles interessante starke KünstlerInnen.

Mit die vielleicht beste, interessanteste Ausstellung lieferte Thomas Zipp im Palazzo Rossini ab, mit Unterstützung der "Arthena Stiftung". Schon der Titel sehr verschroben: "Comparative Investigation about the Disposition of the Width of a Circle", verweist auf einen frühen David Bowie Song und Drogenkonsum einerseits und andererseits auf "Hysterieforschung", speziell durch Jean-Martin Charcot. Die von Zipp entworfene "Forschungsanstalt" umfasst acht Teile, die die einen Rundgang durch die Räume einer fiktiven psychiatrischen Klinik darstellen: Empfang, Direktorenzimmer das gleichzeitig für Musiktherapie genutzt wird (erinnert mich sehr an den Film "Wir Kellerkinder" von Wolfgang Neuss), Bibliothek, Behandlungszimmer, Schlafsaal, Auditorium, Gummizelle und Flur. Zipp, der einmal als "Psychonaut der Kunst" bezeichnet wurde, betreibt in seinen Projekten die Erforschung des Unbewussten in all seinen Formen. Seine "dunkle Ästhetik" umfasst die Wirkung von Drogen wie auch die Suggestion von Heavy-Metall-Musik, Grenzbereiche der Philosophie und Religion ebenso wie die verborgenen Bereiche der Psychiatrie und deren Verbindungen zur gesellschaftlichen Realität. Sein prinzipielles Interesse an Psychologie liess ihn auch eine Maschine (nach-) bauen, mit der halluzinatorische Bewusstseinszustände erzeugt werden können. Auszuprobieren im angebotenen Selbstversuch.

Neben seinem Auftritt im deutschen Pavillon hat Ai Wei Wei zwei weitere Auftritte, organisiert von der Galerie Lisson - sehr politisch sein Aufschrei gegen den kriminellen Bauskandal, der zum Desaster beim Erdbeben in der Provinz Sichuan mit einstürzenden Schulen führte, Tonnen von Baustahl, geschichtet zu Wellen und ein dokumentierendes Video auf Giudecca in dem Zuecca Art Space. Dagegen eher privat-biografisch seine mannsgrossen Dioramen mit verschiedenen Situationen und Stationen seiner Gefangenschaft, in seiner Zelle, selbst im Schlaf, beim Essen, immer in Anwesenheit zweier Soldaten! Kann man auch politisch verstehen, dient aber eher der Mythenbildung und darin ist er ein wahrer Meister!


Ai Wei Wei mit zwei Ausstellungen - Betonstahl (fehlt in Schulen) - seine Zelle

Der "Future Generation Art Prize" wird von der ukrainischen Pinchuk Art Foundation ausgelobt - sehr offen und demokratisch, was sich auch in der äusserst internationalen und sehr jungen Künstlerauswahl niederschlägt. Selbst fast völlig Unbekannte haben diesen Preis schon gewonnen. In diesem Jahr ging er an Lynette Yiadom Boakye, eine in London lebende und gerade auf allen Kanälen gehypte Malerin, spezialisiert auf Rassen und Gender Portraits, die aber nicht wirklich Neues bringen, zeigen... Daneben allerdings sehr starke Arbeiten. Beispielsweise von Eva Kotakova (auch in der kuratierten Ausstellung von Gioni) die im ansonsten bewohnten Salon des Palazzo Contarini Polignac eine Installation aus halbtransparenten geometrischen Grundformen wie Kreis, Rechteck, Dreieck einrichtete, hinter denen sich Bewegungsperformances als Schattentheater abspielten - zauberhaft! Andre Komatsu verteilte im Treppenhaus kleine Haufen mit goldgefärbtem Bauschutt, oft unbeachtet übersehen! Gerade solche Arbeiten sind grandios in der Lage uns etwas über die Gesellschaft und uns selbst zu erzählen. Yan Xing installierte ein Porno-Film-Setting als fortlaufende Performance und Rayyane Tabet baute eine "Stadtlandschaft" aus verschiedenen Spielklötzchen. R.E.P. baute den ultramodernen Eingang "Eurorenovation". Dazu noch Ahmet Ögüt, Micol Assael, Aurelien Frommelt, Agniezka Polska u.v.a. Getoppt wird die Ausstellung mit der vielleicht besten Party, im Garten am Canale Grande, mit Live-Konzert und tollem DJ, tanzen bis zum Sonnenaufgang....


Future Art Prize / Pinchuk Foundation / Kotakova - Komatsu - Party


Der russische Künstler Osmolowski im Palazzo Tre Occi

Die von Massimiliano Gioni kuratierte Ausstellung zeigt eine etwas andere Sicht auf die Kunst. Natürlich auch mit einem kommerziellen Anteil, aber deutlich zu sehen und zu spüren ist sein Interesse an inhaltlicher Kunst die für sich steht. Und dies Generationen übergreifend, ebenso wie für sogenannte "Seiteneinsteiger" offen, ein Glücksgriff! Die Ausstellung umfasst Rationales, Analytisches, Enzyklopädisches ebenso wie Mysthisches oder Provokatives. Gioni spricht von persönlichen Kosmologien, Mythologien und Welterklärungen, einem Staunen vor dem Universum. Wenn die Politik nicht mehr helfen kann, gehen die Menschen wieder auf Heilslehren zu, wie er mir erklärte.

Zu Beginn kommt man in einen Raum mit Abbildungen aus C.G. Jungs "Rotem Buch". Seine ab 1913 geschaffen illustrierten (Alp-)Träumen erscheinen wie frühe surreale Märchen, sind aber zugleich ein Statement dafür wie Gioni diese Ausstellung aufbaut und was ihm wichtig ist. Danach trifft man auf die Tarotkarten von Alistair Crowley, gemalt von Frieda Harris - Psychologie und Mystik als Einstieg, dem weitere Beispiele folgen. Auch Guimares und Akhoj beschäftigen sich mit (brasilianischen) Spiritisten, Guo Fengyi mit chinesischen Geisterwelten, Emma Kunz mit Telepathie und paranormalen Zuständen. Neuentdeckung Hilma af Klint, die verfügte dass ihre Malerei erst 50 Jahre nach ihrem Tod wieder gezeigt werden durfte, beschäftigte sich mit Mystik und vor allem Steiners Anthroposophie. Auch Augustin Lesage wurde von "Geistern zur Malerei geführt" und Robert Crumb, eigentlich Protagonist des Undergrounds und der Drogen, wandelte die Bibel in eine Comicversion, daneben "anonyme" tantrische Malerei. Ebenso verweisen John Outterbridges Voodoo-Puppen auf das Thema Okkultismus. Natürlich fehlt der Künstler-Mystiker per se James Lee Byars nicht und zeigt zwei goldene Stelen "The Figure of the Question of Death" und "The Figure of interrogative Philosophy". Womit letztere ein weiteres Thema anschneidet, Philosophie und Weltmodelle.
Auch hier sind eher Nicht-Künstler zu finden. So sehen wir eine Reihe auf Schiefertafeln gezeichnete Denk- und Weltmodelle Rudolph Steiners, Relikte seiner etwa 5000 Vorträge aus den 1920er Jahren. Bezaubernd ist die legendäre Sammlung aufgeschnittener polierter Steine von Roger Caillois, ehemals befreundet mit André Breton und den Surrealisten, dann näher an Leiris und Bataille. Ausgehend von der Beschreibung einzelner Steine erzählte er ganze Geschichten, Begebenheiten bis zu gesellschaftlichen und philosophischen Exkursen.


Crumbs Genesis - Otto Piene - Schröder-Sonnenstern


Althamer - Tino Seghals Performance vor Rudolph Steiner - Fischli Weiss

Überhaupt spielen "eigene" Kosmologien, Universen, Welten" eine grosse Rolle. Der Titel der Show "Enzyklopädischer Palast" verweist auf die Idee einer allumfassenden Bibliothek des Wissens und der Kultur von Marino Auriti, selbst Kopist und Rahmenbauer, der in den 1950er Jahren sein pyramidales, doppelt mannshohes Modell baute und versuchte seine Idee per Fundraising auf den Weg zu bringen, was scheiterte. Nun wird das Modell zum dritten Mal öffentlich gezeigt und kristallisiert zugleich Gionis Vorstellungen von Wissen und Vermittlung heute. 4 x 4 Häuserblocks hätte sein immenses Bauwerk für Washington verschlungen. Ähnlich phantastische Bauwerke, Pläne stammen von Achilles G. Rizzoli aus den 30ern. Es ist auch konsequent, Frédéric Bruly Bourabrès eigenes Zeichensystem der Welt zu präsentieren oder das riesige lexikalische, fast surreale Zeichnungenwerk zu Biologie und Dingen, Menschen und Krankheiten von Yüksel Arslan. Dazu passen dann eben auch die spezialisierte Sammlung melanesischer Zeichnungen aus den 30er Jahren, mit Hilfe derer der sogenannte "Primitivismus" und entsprechend die westlich-zivilisierte Überlegenheit demonstriert werden sollte, oder die Sammlung sogenannter Paño-Zeichnungen, naive Bilder aus Knästen des mexikanisch dominierten Südens der USA, die den Kosmos "einfach" gestrickter Leute abbilden mit Motiven aus Religion, Drogen- Motorrad- und Undergroundkultur inklusive Pornografie und romantischer Illusion.
Auch eine umfassende, aber persönlichere Sammlung von den Abbildern der Welt und Gesellschaft ist "Passport" von Carl Andre, Ephemeres, Erinnerungsstücke, Tickets, Fotos aus Magazinen, auch reproduzierte Werke anderer Künstler, ein "Bildatlas". Noch extremer stellen die über 60 collagierten, teilweise übermalten, völlig überbordenden Bücher die Sammelleidenschaft von Shinro Ohtake dar, aus Abbildern und Objekten des alltäglichen Lebens zu dessen persönlicher Kosmologie verwoben. Ebenso phantastisch wie wahnsinnig. Ähnlich, damit zusammenhängend, kann man auch die grossen Collagen-Bilder von Albert Oehlen betrachten, die im Gegensatz zu zuvor Besprochenem allerdings mit einer sehr reduzieren Bildsprache aufwarten.


Ursata - Danh Vo - Rosario

Sexualität spielt in unserem Leben ein grosse Rolle, entsprechend findet auch dieser Aspekt seinen Niederschlag, etwa in den abstrahierenden "Strumpfhosen"-Figuren von Sarah Lucas oder den jugendlichen sexuellen Phantasien die Evgenij Kozlov in seinen Zeichnungen imaginiert. Bellmers surreale pornografischen Zeichnungen fehlen ebenso wenig wie die kaleidoskopischen photografischen Kakophonien, Multi-Collagen aus transvestitischen Selbstinszenierungen von Pierre Molinier oder die malerischen Phantasien Carol Ramas und des lange vergessenen, nun wiederentdeckten Schröder-Sonnenstern. In diesem Zusammenhang, allerdings existenzieller und umfassender, steht auch die Malerei von Maria Lassnig, die einen Löwen für ihr Lebenswerk erhält. Einiges, auch anonyme Fotografien und gebaute, gebastelte Installationen und Objekte finden sich in der privaten Sammlung von Cindy Sherman. Eine fast antiquarische Pornovideosammlung, allerdings mit ausgekratzten Geschlechtsteilen hat James Richards beigetragen. Voyeure, die Liebespaare in Tokyos Parks beobachten und bis ganz nahe heran kriechen, zeigt Kohei Yoshiyuki.


Evgenij Kozlov - Sarah Lucas


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Aktion von Tiny Domingos © Foto: J. L.


Rumänischer Pavillon © Foto: J. L.


Stefanos Tsivopoulos - "History Zero" - Filmstill © Künstler + Kalfayan Gallery und Prometeogallery di Ida Pisani


Vadim Zakharov - Russland © Foto: J. L.


Bashir Makhoul - Palästina - "otherwise occupied" © Foto: J. L.


Street Art bei Venezuela


Shary Boyle - Canada © artist + Jessica Bradley Gallery / Foto: R. Goldchain


Mark Manders - Niederlande


Simryn Gil - Australien


Fervenza - Pavillon Brasilien


Thomas Zipp im Palazzo Rossini


Lost in Translation - Russische Künstler der 70er+80er Jahre


Maurizio Catelan im "Bestiarium" im Naturkundemuseum eingebunden - eine grossartige Ausstellung


Pallazzo Zero: Yoko Ono - "a smile in a box" - Clemens Fürtler


Tony Ourslers grosse Video-Animation im Yves Saint Laurent Showroom


Eva Kotakova


Schnitzerei von L.F. Ames


Ein beredter Steinschliff von Caillois


Shinro Ohtake


Aqua Alta im Palazzo Rossini